Mittwoch, 22. Dezember 2010

Willkommen und Abschied

Wir haben „Tschüss“ gesagt und uns ganz fest gedrückt. Wir haben beide mehr oder weniger erfolgreich versucht, nicht zu weinen und an das Wiedersehen zu denken.
Aber als ich alleine im kühlen, vorweihnachtlichen Atlanta zum Bus trotte, in dem es schon wieder nach Pisse riecht, wird mir doch ein wenig schwer ums Herz. Nun muss ich meine neugewonnene Freundin ziehen lassen und ich frage mich, ob ein paar halbleere Shampooflaschen wirklich alles sind, was bleibt. Ein kühler Schauer läuft mir über den Rücken, als ich feststelle, dass man sich auch nach sechs Jahren Philosophiestudium noch ABBA hörend voller Wehmut und Sehnsucht über den Sinn des Abschied Nehmens reflektierend finden kann. Bisheriges Ergebnis des professionellen Nachdenkens: Abschiede stinken. Man kann sie nicht vermeiden, aber sie sind schmerzhaft und unfair.
Ich habe Marlen getroffen, als wir gerade mal zwei Wochen in Atlanta wohnten. Von Anfang an hat uns mehr verbunden, als das gemeinsame Schuften fürs Goethe-Zentrum und unsere Vorliebe für die Schicksalsberichte irgendwelcher Haremsfrauen, mit der der Weltbild-Verlag vierteljährlich seine emanzipierte Leserschaft beglückt. Ja, wir sind uns einig: Lady Di war garantiert keine einfache Frau und als Marlen mir in die Augen schaut und mir ihre Leidenschaft für kühles Bier verkündet, ist sie besiegelt, unsere Freundschaft. Marlen ist sicherer als ich, wenn wir durch die Straßen schlendern. Die große Stadt verstört sie nicht im Geringsten und vor den Pennern hat sie schon lange keine Angst mehr. Wir gehen aus, sie bestellt für uns beide, weil es mir mal wieder die Sprache verschlägt, als der Kellner mich fragt, was ich trinken möchte. Wenn ich Marlen treffe, geht´s mir gut. Das Heimweh ist nur halb so schlimm, die Staaten sind nur halb so fremd. Marlen lacht, ist immer optimistisch und macht mir Mut, dass sich alles schon regeln wird, auch wenn mir der Geldautomat gerade jegliche Auszahlung verweigert. Schon bald sind wir ein eingespieltes Team, können die andere einschätzen. Wir gehen shoppen, retten uns gegenseitig vor den hinterhältigen Attacken des schleimigen Jim Surbers, lieben und hassen gemeinsam. Ja, es ist malerisch. In einem Kinderfilm würden wir jetzt zusammen bei strahlendem Sonnenschein durch eine Blumenwiese springen, um die Intensität unserer Beziehung zu verdeutlichen.
Aber hier ist sie wieder, die Realität. ABBA bringt es auf den Punkt: „One of us is lonely, one of us is only waiting for a call…”. Und so umschlingt mich das gefährlichste Gefühl der Welt: Selbstmitleid. Und plötzlich holt mich ein, was ich bisher erfolgreich verdrängt hatte, weil ja alles so toll und neu und aufregend ist und weil man gefälligst als Frischvermählte 24 Stunden 7 Tage die Woche wie ein chinesischer Glückskeks zu strahlen hat: Sehnsucht nach denen, die ich zurückgelassen habe. All die Abschiede, die ich zum Schluss schon fast routiniert hinter mich brachte, schmerzen jetzt. Ja, Mariah Carey, du sagst es: “I miss you most at christmas time.” Jetzt ist auch nicht mehr wichtig, ob ich Weihnachten in den USA toll finde oder nicht. Denn für mich ist das gerade sowas von egal, da ich nicht weiß, wen von all den liebgewonnenen Menschen in meinem Leben ich immer wieder willkommen heißen darf und von wem es vielleicht ein Abschied für immer ist. Welche Freundschaften schaffen es, weiter zu bestehen und wer zieht irgendwann ohne mich durchs Leben? Weihnachten, das Fest der Liebe und der Melancholie. Seid euch sicher, ihr Lieben, dass ich euch mitgenommen habe hierher und an euch denke, wenn mich abends der pinke Plastikflamingo mit seiner Weihnachtsmannmütze im Vorgarten anleuchtet. Es ist das erste Weihnachten ohne euch in diesem komischen Land, aber vergessen habe ich euch nicht. Werde ich auch nicht, denn manchmal hinterlassen Menschen eben mehr als halbleere Shampooflaschen und das lohnt es sich festzuhalten, immer und immer wieder.

Montag, 4. Oktober 2010

Gefangen in der Zwischenwelt – über Emanzipation und Liebe

Wir treffen uns im Büro, Ute und ich, während ich ein Curriculum für den A1.4-Deutschkurs erarbeite und Ute ein paar Sachen für ihren Unterricht kopiert. Ute ist nett, fragt danach, was mich in die Staaten gebracht hat. Ich bin ehrlich: mein Mann. Er macht seinen Doktor, ich arbeite ehrenamtlich für die Uni und das German Culture Institute. Das Visum lässt keine bezahlte Arbeit zu. Nein, natürlich ist das nicht optimal. Schon gar nicht für die Karriere. Aber so ist das im Leben: manche Dinge tut man eben aus Liebe. Ute hebt ihre Brauen, mustert mich von oben bis unten. Sie kann ihre Verachtung nicht verbergen, als sie „Hallooo Emanzipation!“ in meine Richtung seufzt. Über ihre Entscheidung, für einen Mann damals länger als geplant in Spanien zu bleiben, spricht sie ganz selbstverständlich. Ist ja auch was anderes! Sie überlegt, ob sie nicht noch ihren Doktor machen will. Nur für sich selbst, versteht sich. Nicht aus Karrieregründen. Huuch, ist das schon spät, jetzt muss sie aber wirklich in die Klasse! Wir verabschieden uns, sehen uns jetzt ja bestimmt öfter.
Ich bleibe mit einem komischen Gefühl in der Magengegend zurück. Schäme mich fast ein bisschen für den Kuchen, den ich gestern für meinen Mann gebacken habe, weil er so gerne Süßes isst… Mein Ehering glitzert mich höhnisch an. So fühlt man sich also mit einem Stigma. Die Mädels am Empfang gehen nach der Arbeit noch was Trinken. Ich lehne ab. Stefan macht sich nur wieder Sorgen, wenn ich zu spät komme. Und anstatt mich auf den Schwingen der Selbstverwirklichung und Emanzipation durch die Nacht tragen zu lassen, fahre ich in einem vollgepissten Bus nach Hause. Zu Schatzi und meinem selbstgebackenen Kuchen.
Tja, und hier sitze ich nun. Zwischen meinen Deutschbüchern und der Springform und denke darüber nach, in welcher der beiden Welten ich lebe. Meine Gedanken schweifen ab zu den Mädchen in meinem Dörfchen, die früh Mütter werden und dir auf die Frage, was sie so machen, trotzig entgegen schleudern: „Ich bin Vollzeit-Mami. Und zwar gerne!“ Oh, ja. Ich war die Erste, die voller Hochmut ihre Augenbrauen hochzog und sich dachte: „Du, mein Schätzchen, bist ein Vollzeit-Schlag ins Gesicht der Emanzipation!“. Dann habe ich meistens auf dem Absatz kehrt gemacht und bin hoch erhobenen Hauptes zurück in mein Leben gegangen, dass in meinen Augen sehr modern und selbstbestimmt war: studieren, mit 20 noch nicht Mutti, jede Nacht ´ne andere Party und vor allem: nicht mal ein Ei braten können. Der Gipfel der Emanzipation: sich konsequent dem Herd verweigern. Alice Schwarzer wäre so stolz auf mich gewesen!
Zurück in der Gegenwart: mein Kuchen ist gelungen. Schatzi freut sich, statt Wodka gibt´s Kakao und morgen Frühstück statt Kater. Verlegen rutsche ich auf meinem Stuhl rum, als es mich wie ein Schlag trifft: ich fühle mich wohl! Schuldgefühle überkommen mich: Bin ich jetzt der Schlag ins Gesicht der Emanzipation? Alle Zeichen sprechen dafür: statt selbstbewusst jede Nacht mit einem anderen Mann meine Sexualität auszuleben, einfach, weil ich es kann, lebe ich monogam. Wenn ich koche, wird kein Feueralarm ausgelöst und das Resultat dieser Tätigkeit erzeugt weder Übelkeit noch Erbrechen. Ich verdiene nicht mal Geld, dass ich dann für Schuhe ausgebe, in denen man sich die Füße bricht! Und mein Bedürfnis danach, möglichst viel ohne meinen Mann zu machen, denn man muss sich ja stets seine Unabhängigkeit bewahren, hält sich doch sehr in Grenzen. Was ist denn nur passiert? Wie konnte es soweit kommen? Oh, nein. Die gesamte EMMA-Redaktion stehe mir bei, denn ich habe gesündigt: ich liebe diesen Mann. Irgendwann zwischen dem konsequenten Kampf um Selbstverwirklichung, Unabhängigkeit und dem Zubereiten von Tiefkühlkost muss es passiert sein: aus dem Ich ist ein Wir geworden. Das große wabernde Wir, das es zu vermeiden gilt, denn es ist böse und treibt dich in die Abhängigkeit von einem Mann, hat mich eingeholt. Aber es fühlt sich nicht beängstigend an, sondern schön. Ich fühle mich auch nicht abhängig, sondern sicher. Wie angekommen nach einer langen Reise.
Stefan bringt mich auf einen ketzerischen Gedanken: habe ich mich vielleicht von der Emanzipation emanzipiert? Hahaha. Sowas kann wieder nur von einem Mann kommen! Tja, sein Geschlecht musste eben nie BHs verbrennen und sich ein Wahlrecht erkämpfen. Die moderne Frau von heute hat glücklicherweise alle Möglichkeiten: wir können raus in die Welt gehen, die Pille nehmen, von früh bis spät arbeiten und mehrere Männer haben, wenn wir wollen. Vor 100 Jahren wäre das noch nicht so einfach möglich gewesen!
Ich denke wieder an Ute und bringe dabei die Modalverben durcheinander. Wir können, wenn wir wollen. Oder müssen wir, auch wenn wir nicht wollen, nur weil wir können? Wie behält man als moderne Frau von heute seine Würde, wenn man mit 25 Jahren einen Ring am Finger hat und total verliebt einen Hackbraten macht? Wie überlebt man zwischen all den Single-Frauen im Büro, die „[…] erst mal so lange ihr Leben genießen und Spaß haben, bis der Richtige kommt.“ Und zeugt so eine Aussage wirklich von Emanzipation? Oder Selbstbetrug? Spaß haben, bis der Richtige kommt. Und dann ist der Spaß vorbei, oder was? Dann kann man sich die Kugel geben oder ist das Ziel dann erreicht? Was passiert denn dann? Und ist es wirklich Spaß, sein Leben damit zu verbringen, auf den Richtigen zu warten?
Stefan macht mittlerweile den Abwasch. Da fühle ich mich gleich wieder ein bisschen emanzipierter! Es ist spät geworden, ich bin müde nach meinem langen Tag im Büro. Und auch wenn ich ab und zu einen Kuchen backe, ist es trotzdem schön, zu arbeiten. Dieser Goethe würde wieder mit den zwei Seelen in seiner Brust anfangen. Ich denke, da hat er vielleicht gar nicht so unrecht. Glücklicherweise hat man als Frau zwei Brüste. Zufall? Vielleicht kann man als moderne, emanzipierte Frau von heute auch lieben und für diese Liebe die Karriere mal eine Zeit lang auf Eis legen, ohne das Gesicht zu verlieren? Vielleicht kann Emanzipation auch bedeuten, herauszufinden, womit man sich wohl fühlt in diesem Leben und dann selbstbewusst dazu zu stehen? Und vielleicht muss ich nicht die harte Karrierefrau sein, weil ich nicht will. Aber wichtig ist, dass wir können. Wenn wir wollen.
Und damit nehme ich mir mein Buch. Ich habe die Wahl: es auf dem Kopf balancieren und damit Germanys Next Topmodel werden oder es aufschlagen und lesen? Ich entscheide mich für Letzteres und überlasse Ersteres den Frauen, die sich damit wohler fühlen als ich.

Freitag, 3. September 2010

Alles Plaste, oder was? Die Recycling-Frage

Atlanta ist so grün, dass die Parks ständig leer sind. Die brauch hier auch kein Mensch, denn jeder hat die Natur buchstäblich vor der Haustür: Giftefeu, Schlangen, Bäume, Vögel: alles da. Man ist auch sehr bestrebt, die grüne Idylle hübsch herzurichten: Es wird gewässert, gedüngt, gemäht und getrimmt was das Zeug hält. Aber über etwas sehr Bedeutsames macht man sich hier nur sehr wenig Gedanken: unseren Planeten.
Möglichst unachtsam mit der Umwelt umzugehen, gehört in diesen Gefilden scheinbar genauso dazu wie die Mayo zum Obstsalat. Selbst ich, die sich bei Fragen der Mülltrennung in der WG im Zweifel immer für irgendeinen x-beliebigen Mülleimer entschied, stehe hier und kann nur den Kopf schütteln.
Fangen wir bei den kleinen Dingen an, die man größtenteils der Sparsamkeit wegen tut, die einem aber trotzdem das wohlige Gefühl geben, beim Umweltschutz an vorderster Front mit dabei zu sein: Strom und Wasser sparen oder auch mal zu Fuß gehen. Ersteres bedeutet für die Amerikaner eine Einschränkung des Lebensstandards und letzteres eine Einschränkung der Bequemlichkeit. Somit ist beides - ihr ahnt es bereits – vollkommen inakzeptabel. Es ist den Leuten unbegreiflich, wie man NICHT den ganzen Tag die Klimaanlage laufen oder die ganze Nacht das Licht im Hausflur brennen lassen kann. Von einem Dasein als Fußgänger mal ganz zu schweigen! Amerikanische Autofahrer sind mit Fußgängern vollkommen überfordert. Die Straße zu überqueren, ist das größte Abenteuer, da man aufpassen muss, keinen Verkehrsunfall zu verursachen. Kaum sehen sie einen, gehen sie in die Eisen, als würde ihnen ein wildes Tier vor die Karre springen!
In unserem Apartment stapelt sich fein säuberlich getrennt Plaste und Papier und keiner weiß, wohin damit! Es gibt zwar Recyclingstellen, aber nur vereinzelt. Wenn man danach fragt, wie das hier läuft, erntet man meistens nur hochgezogene Augenbrauen und die prompte Gegenfrage, warum ein Mensch sowas freiwillig tun wolle. Ähhm, vielleicht weil riesige Müllteppiche auf den Ozeanen schwimmen? Weil wir es GEWOHNT sind? Wir sind Deutsche, wir möchten, dass uns gesagt wird, wie man das mit dem Müll zu machen hat hier. Gibt es denn keine Vorschrift für sowas? Nicht mal Einheitsmülltonnen habt ihr???? Um Himmels Willen, wie kann man nur so leben????? Das geht ja drunter und drüber in diesem Land!
Tja, Dr. Martin Luther King. Da guckst du auch ein bisschen ratlos von unserem Anti-Rassismus-Poster. Da schäme ich mich gleich, weil ich früher auch immer groß getönt habe, Mülltrennung sei Rassismus. So ist das manchmal im Leben. Da hält man sich für übel und gefährlich, weil man den Bio-Müll mit Plastiktüte in die Mülltonne wirft und dann kommt der Physiker von nebenan und wickelt dich ein mit seinem Rotwein und den großen blauen Augen. Dann gehst du dann doch los und holst Papiermülltüten, die dauernd durchweichen, worüber du dich dann maßlos ärgerst, weil es eine ekelhafte Sauerei ist! Und deine Freundin/ehemalige Mitbewohnerin sieht sich das Schauspiel fassungslos mit an; hat sie doch Jahre vergeblich damit zugebracht, dir die Mülltrennung ans Herz zu legen. Die Liebe ist schon ein komisches Spiel. Ja, ich gestehe: diese Berge scheinbar umsonst getrennter Müll sind mir schon ein Dorn im Auge. Natürlich würde ich am liebsten alles in einen Sack stecken und dann weg damit. Aber dann wird der Plastikteppich im Atlantik ja immer größer. Und ich bin offiziell mit schuld. Und Stefan guckt dann wieder so…
Also bleibe ich hart. Also finde ich seine grandiose Idee, jeden Tag zwei leere Plastikkanister zur Recyclingstelle zu tragen, ganz toll! Also denke ich nicht daran, dass davon der Plastikberg nicht kleiner wird, weil ja jeden Tag zwei neue leere Trinkwasserkanister dazu kommen. Also schwelge ich in meiner Sehnsucht. Nach – ich hätte niemals gedacht, dass ich das eines Tages sagen werde – dem Recyclingzwang in Deutschland, dem ich mich jahrelang erfolgreich in meiner WG widersetzt habe…

Donnerstag, 26. August 2010

Ein bisschen Rassismus in Ehren…

Liebe Lesergemeinde,
heute wollen wir uns einer oft gestellten Frage zuwenden und ihre Geschichte sowie deren Auswirkungen auf die Gegenwart näher beleuchten. Vorteil dieser Übung: Ich kann meinen Drang zur Belehrung voll ausleben und diese kleine Auszeit vom Unterrichten trotzdem zum Klugscheißen nutzen.
Die Frage, die wir näher beleuchten wollen, lautet wie folgt: „Habt ihr denn auch schon einen von diesen Schwarzen gesehen, von denen man schon soviel gehört hat?“
Nun, verehrter Fragensteller, ich kann deine Frage bejahen und möchte gleich ein wenig ausholen: Wir befinden uns in Georgia, einer wärmeren Region im Süden der USA, geeignet zum Baumwoll- und Reisanbau auf grooooßen Plantagen. Die Leute hier haben sich die Sklaverei hart erkämpft, wurde sie doch erst von der britischen Krone verboten. Aber in einem Land, in dem alle Menschen frei sind, lässt man es sich nicht so einfach verbieten, eine zahlenmäßige Mehrheit von unfreiwillig eingeschifften Afrikanern zum Arbeiten zu zwingen. Wo kämen wir denn da hin? Sollen sich etwa die blassen Herrschaften aufs Feld stellen und selber schuften? Soweit kommt`s noch! Da macht man mal ordentlich Druck und schwuppdiwupp wurde die Untersagung der Sklaverei im Jahre 1751 wieder zurückgenommen. Und dann war erstmal 100 Jahre alles schick für den weißen Mann. Zumindest im Süden. Im Norden war die wirtschaftliche Situation dummerweise nicht so sehr davon abhängig, Menschen wie schlechtere Haustiere zu behandeln und so wurde die Sklaverei auch bald abgeschafft.
Ein Schlag ins Gesicht für unsere Bauernfreunde im Süden! Industrialisierung? Einzelstaaten, die von der Union regiert werden und somit weniger Föderalismus? Nee, Freunde. So haben wir nicht gewettet! Die Südstaaten schieden also aus der Union aus und gründeten die Konföderation. Für menschenverachtende, grausame Praktiken muss gekämpft werden! War nur nicht so doll, der Kampf, denn schon 1865 musste man sich geschlagen geben und zähneknirschend das Verbot der Sklaverei hinnehmen. Schlimmer noch: 1868 wurden den Arbeitsgerätschaften, die man jetzt nicht mehr als Eigentum bezeichnen durfte, auch noch formal die Bürgerrechte zugesprochen!
Die Betonung liegt auf formal, denn daran scheint sich bis heute nicht viel geändert zu haben. Sieht man in Atlanta Leute in schlechtbezahlten Dienstleistungsberufen, so kann man mit 90%iger Wahrscheinlichkeit darauf wetten, dass es sich um Mitbürger mit afrikanischem Migrationshintergrund und familiärer Sklavenvergangenheit handelt. Auch im universitären Kontext ist die Hautfarbe der Mensaleute durchgehend schwarz. Aaach ja, die gute alte Tradition, sich einen Teller Suppe von Leuten hinstellen zu lassen, die offiziell nicht mehr als Sklaven gelten. Aber man wird doch wohl noch ein bisschen in Erinnerungen schwelgen dürfen. Was wir bis jetzt über unsere dunkelhäutigen Freunde gehört haben, zeugt auch nicht grade von großer Weltoffenheit: es wurde uns davon abgeraten, den Bus zu nehmen, denn da fahren nur Schwarze mit (Apartheid, bist du`s?), Mädchen, deren Haut nicht blütenweiß ist, gelten gemeinhin als bessere Affen: ohne jegliche Ausbildung geben sie sich schon in jungen Jahren jedem Dahergelaufenen hin und bevölkern die Welt dann mit - richtig – noch mehr Schwarzen, die nichtmal mehr unbezahlte Arbeitskräfte sind. Auf dem Emory Campus gibt es eine Vereinigung, die für die Rechte schwarzer Mitstudenten kämpft. Es scheint, als hätte man in Georgia zwar die Schlacht verloren, aber der Krieg ist noch lange nicht vorbei…

Sonntag, 22. August 2010

Der Horror kommt nachts...

Im Süden der USA, genauer in Decatur/Atlanta, in ein Apartment zu ziehen, ist ein bisschen wie zelten: Egal, wie sehr man sich abmüht, man wird den Dreck nicht rauskriegen. Außer ein bisschen Plastegeschirr für 1,19 $, ein paar Trinkwasserkanistern und einer ständig Luft verlierenden Matratze erinnert fast nichts an den Komfort, den wir verwöhnten Gören in Deutschland genossen haben.
Hinter diesen Mauern lauert das, was ich Unwissende noch gestern Vormittag als „malerisch“ deklariert habe: die Natur. Mit all ihren Schrecken. Bäume, Efeu, Rasen. Das volle Programm. Die letzte Nacht steckt uns noch in den Knochen. Auch im übertragenen Sinn. Während ich das schreibe, weiß ich nicht, ob ich sicher bin. Wie ein gehetztes Tier schaue ich ständig nach rechts und links und spähe zu dem, was sich als Retter tarnt, aber in Wirklichkeit Träger des Schreckens ist: die Klimaanlage. Man kann ihr nicht trauen. Niemals. Sie gaukelt dir vor, sie wäre dein Schutz vor der Hitze, dein Verbündeter. Doch sie lügt. Denn eigentlich beherbergt sie Fürchterliches, was sich des Nachts in dein Apartment schleicht…
Doch fangen wir von vorn an: Es schien ein ganz normaler Abend in der Fremde zu sein. Nachdem wir unsere tausend Tüten Lebensmittel-Grundausstattung unter großer Anstrengung nach Hause geschleppt hatten, gönnten wir uns noch ein Gläschen nicht chloriertes Wasser und betteten unsere erschöpften Körper zur Ruhe. Sämtliche Diskussionen darüber, wer Familie und Freunde mehr vermisst, konnten nicht zu einem befriedigenden Ergebnis geführt werden und wurden deshalb vertagt. Da lagen wir nun. Allein. Schwitzend. Schlaflos. Und das Beunruhigendste: es war dunkel. Sehr dunkel. Nachdem wir uns geraume Zeit hin und her gewälzt hatten, beschloss ich, noch einmal die Klimaanlage in dem Raum einzuschalten, der Küche und Wohnzimmer in einem ist. Bei offener Tür sollte dann die Temperatur sinken, die Lärmbelästigung aber so gering sein, dass das Einschlafen mühelos funktioniert. Ich stapfe durch die Dunkelheit, erreiche die Klimaanlage und sehe, noch bevor ich sie berühren kann, dass etwas Käferartiges darauf herumkrabbelt. Als erwachsene, tapfere Frau von Welt spare ich mir den Ohnmachtsanfall und tue das einzig Vernünftige: ich schreie mir die Seele aus dem Leib, zitiere meinen Mann her und übergebe den Fall. Als Stefan nach einer gefühlten Ewigkeit, bei der es sich objektiv betrachtet nur um wenige Sekunden gehandelt haben kann, die Tür erreicht und das Licht einschaltet, bleibt mir mein Schrei im Halse stecken: bei dem käferartigen Etwas, das mittlerweile wieder ins Innere der Klimaanlage kriecht, handelt es sich um das, was die Deutschen am meisten fürchten: Eine Kakerlake. Und sie war nicht allein. Zu tausenden tummelten sie sich an den Küchenwänden, in den Jalousien, einfach überall. Gut, ok. Vielleicht waren sie nur zu zweit. Aber allein ihre pure Anwesenheit in unserem Apartment lässt mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Stefan, als Mann der Tat, holt einen Schuh und will auf den Feind einschlagen. Dank meiner abendlichen Dosis Bildungs-TV mit Aiman Abdallah weiß ich jedoch, dass man diese ekelerregenden Wesen auf keinen Fall zerquetschen soll. Ihre Eier verbreiten sich sonst überall. Stefan holt also eine unserer zwei Plasteschüsseln, will die Kakerlake einfangen und sicherlich aussetzen. Meine Protestrufe, dass wir aus der Schüssel morgen Cornflakes essen wollen, verhallen ungehört. Der Feind ist schneller. Er verkriecht sich so geschickt unter der Jalousie, dass wir ihn nicht mehr auffinden können. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Tür zu verriegeln und zu hoffen, dass wir nicht im Schlaf angefallen werden.
Bevor ich heute die Matratze verlassen habe, hat mein edler Recke alles genauestens inspiziert. Keine Kakerlaken in Sicht. Auch nicht in den Schränken. Aber wir werden wachsam sein. Ich werde mich jetzt auf den Weg in den Supermarkt machen und dann gnade diesen Dingern Gott: die Schlacht hat begonnen…

Montag, 16. August 2010

Ankommen, wundern, staunen: Willkommen in Amerika!

Ich kann es kaum glauben, wir sind wirklich da!!! Irgendwie haben wir es geschafft, den ganzen Trubel im Vorfeld mit weniger als einer Packung Beruhigungsdragees und dem Minimum an Abschiedsschmerz-Totalzusammenbrüchen zu überstehen und in die USA einzureisen, ohne verhaftet, ausgeraubt oder abgewiesen zu werden.
Es ist, wie ich es mir immer erträumt habe: bei Jerry Springer schlagen sich zwei dumme Frauen (von denen eine neun Kinder vom Bruder der anderen hat, wenn ich das hier richtig verstehe…), das People-Magazin zerreißt sich das Maul über Jennifer Aniston, wenn man nicht will, muss man keinen Schritt zu Fuß gehen und im Supermarkt gibt es lustige Drogen. Auch ohne Rezept!
Am Flughafen in New York haben wir erst mal bei Starbucks mit einem fettreduzierten Caramell-Frappuccino auf unser neues Leben angestoßen und sind auch gleich ins Gespräch mit einer netten Frau mittleren Alters gekommen, die uns das Kunstmuseum in Atlanta ans Herz gelegt hat. Dort hätten sie jetzt auch Bilder von diesem Dalí. Stefan zeigte mir eine bis dato unbekannte Facette seiner Persönlichkeit und entpuppte sich natürlich als großer Kunstkenner: mit einer abwertenden Handbewegung bezichtigte er Dalí, ein „crazy guy“ (deutsch: verrückter Typ) zu sein. Na gut, dann bleibt das aufstrebende Akademikerpärchen eben bei der guten alten Fernsehunterhaltung. Wie schädlich können Talkshows schon für den Intellekt sein????
Nachdem wir endlich im Flugzeug nach Atlanta saßen, übermannte uns eine bleierne Müdigkeit. Nach 24 Stunden auf den Beinen versanken wir 2 Stunden in einen traumlosen Schlaf, der sich für unseren Nacken ein wenig nachteilig auswirkte. Nachdem wir erwacht waren und unsere Gliedmaßen sortiert hatten, stellten wir beim Blick aus dem Fenster fest, dass sich das Flugzeug auf dem Boden befand und dachten schon, wir seien wieder gelandet. Haha, naive Deutsche! Zu diesem Zeitpunkt waren wir noch nicht mal gestartet! Das sieht man hier anscheinend nicht so eng mit der Pünktlichkeit im Flugverkehr. Aber was soll`s, immerhin werden Saft und Snacks verteilt. Vermutung: die tun hier was ins Essen, um die Leute ruhig zu stellen. All ihre Emotionen werden mit diesen Substanzen so lange unter Verschluss gehalten, bis sie sich endlich begleitet von lächerlichen Zuckungen in einem großen Wutanfall während der Jerry-Springer-Show entladen. Dieser Fernseher läuft schon ´ne Weile und bis jetzt war die Jerry-Springer-Show jede dritte Sendung. Kein Witz! Ich werde das weiter beobachten.
Ortszeit ist jetzt 17.30 Uhr. Nächste Schritte: meinen Mann aus dem übrgroßen Hotelbett werfen und peinliche Touristensachen machen. Dieses Hotel hat einen Pool – ich habe einen Hintern. Wir wissen alle, was das bedeutet!
Nachtrag, egoistisch wie ich bin, habe ich vergessen, den Tag meines Mannes zu schildern: Da passierte allerdings wenig Überraschendes. Stefan Falkner, ein Name, der für Erfolg steht, hat auch heute wieder bewiesen, wie überragend er ist: Mit dem Doktorvater per du, beim Englischtest gepunktet und ganz nebenbei für sein Jerry-Springer-abhängiges Frauchen zwei Joboptionen an Land gezogen. Ich liebe diesen Mann!!!!